Gerhard Süess leitet das EWO Instandhaltungsteam. Bei der Revision des Wasserkraftwerks Unteraa war er während dreier Wochen voll gefordert.
Ein wenig ist es wie beim Bergsteigen – einfach mit weniger Aussicht. Um die Beschaffenheit der Druckleitungen und Bauwerke auf allfällige Schäden zu prüfen, seilen sich Spezialisten weit in die Tiefe ab. Vorhandene Schäden werden protokolliert und wo möglich sofort behoben. Diese Arbeiten erfordern nicht nur ein hohes Mass an Konzentration und Fachkenntnis, sondern auch eine Portion Unerschrockenheit.
Im Herzen des Kraftwerks
Gerhard Süess leitet das EWO Instandhaltungsteam. Bei der Revision des Wasserkraftwerks Unteraa war er während dreier Wochen voll gefordert.
Die Kontrolle der Druckleitungen ist nur ein kleiner Teil der umfassenden Revision im Kraftwerk Unteraa, dem grössten EWO Wasserkraftwerk. Insgesamt 50 Personen aus 13 unterschiedlichen Unternehmen waren im vergangenen Herbst während dreier Wochen im Einsatz. Sie haben das Kraftwerk auf Herz und Nieren geprüft und geplante Instandhaltungsarbeiten durchgeführt. So gewährleisten sie die sichere Versorgung mit erneuerbarem Strom für die nächsten Jahre.
Der dreiwöchigen Revisionsphase ist eine zweijährige Planung vorausgegangen. Für die umfassenden Arbeiten muss der Pegel des Lungerersees jeweils im Voraus leicht abgesenkt werden, wie Gerhard Süess erzählt. Als Leiter Instandhaltung trägt er die Gesamtverantwortung für die Revision und ist zuständig für die Koordination der vielzähligen Aufgaben.
«Das Zeitfenster soll so kurz wie möglich sein, denn während der Revision produziert das Kraftwerk keinen Strom, und das EWO muss diesen extern einkaufen», so Süess. Aus produktionstechnischer Sicht wären die Sommermonate am geeignetsten für die Revision, da dann der Strombedarf am geringsten ist. «Das ist jedoch nicht möglich wegen der unkalkulierbaren Niederschlagsmengen im Sommer, die den Lungerersee zu schnell wieder füllen könnten.» Bei kritischem Seestand könnte so die Wasserhaltung nicht mehr reguliert werden. Aus diesem Grund ist der Spätherbst zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember der ideale Zeitpunkt dafür – noch vor der grossen Winterkälte, jedoch mit voraussichtlich weniger starken Niederschlägen als im Sommer.
«Die Sicherheit aller Beteiligten hat für mich höchste Priorität.»
Gerhard Süess, Leiter Instandhaltung
Ist erst mal das Datum fixiert, geht es an die Planung der einzelnen Arbeiten. «Hierfür führe ich im Tagesgeschäft laufend eine Liste aller anstehenden, nicht zeitkritischen Arbeiten und Kontrollen», erklärt Gerhard Süess. Anhand dieser Liste erarbeitet er schliesslich einen Detailplan, um einen reibungslosen Ablauf während der rund drei Wochen sicherzustellen. Eine Puzzlearbeit – denn jede der 50 involvierten Personen muss wissen, wann sie wo zum Einsatz kommt. Ausserdem gilt es, den Einsatz grösserer Maschinen wie beispielsweise eines Krans so zu koordinieren, dass sich die Arbeiten nicht gegenseitig behindern. «Und nicht zuletzt müssen wir natürlich auch Zeitreserven für Unvorhergesehenes vor Ort einplanen», so Süess.
Wie beim Bergsteigen: Angeseilt wagt sich ein Mitarbeiter der EWO Instandhaltung in die Tiefe, um den Zustand der Druckleitung zu prüfen.
Solche unvorhergesehene Herausforderungen sind denn auch aufgetaucht – sei es eine ungenügend gegen Korrosion geschützte Drosselklappe oder sanierungsbedürftige Betonelemente in den Stollen. «Mit solchen Überraschungen muss man immer rechnen bei einer grossen Revision», bleibt Süess gelassen. «Unser eingespieltes Team ist sich diese Situationen gewohnt, und die entsprechenden Fachleute reagieren schnell und unkompliziert.»
Neben diesen kurzfristig anfallenden Arbeiten nehmen auch die geplanten Arbeiten eine Menge an Manpower in Anspruch. So sind unter anderem zwei Kugelschieber revisionsbedürftig, im Bereich des sich im Bau befindenden A8-Tunnels Kaiserstuhl gilt es, Geodaten in einer Druckleitung zu erheben, und in den Pumpenschächten 12 Meter unter dem Kraftwerk stehen Reparaturarbeiten an. Eine weitere, besonders knifflige Herausforderung: der komplette Ersatz der Eigenbedarf-Hauptverteilung. «Da arbeiten wir sozusagen am Lebensnerv des gesamten Kraftwerks», so Gerhard Süess. «Wir verlegen Hunderte von Kabeln aus drei verschiedenen Netzen mit Durchmessern von wenigen Millimetern bis zur Dicke eines Arms neu und ersetzen sämtliche Schaltschränke.» 20 Personen kommen alleine dafür zum Einsatz. Und all dies bei tickender Uhr: Denn nach drei Wochen muss das Kraftwerk wieder ans Netz gehen, Spielraum für Verschiebungen gibt es nicht.
Kraftwerk Unteraa
Das Kraftwerk Unteraa in Giswil ist die grösste Stromproduktionsanlage des EWO. Sie nutzt das Wasser der Kleinen und Grossen Melchaa sowie des Lungerersees für die Stromproduktion. Das Kraftwerk produziert pro Jahr im Durchschnitt über 100 Millionen Kilowattstunden, was für rund 22 700 Haushalte reicht. Vier Francisturbinen verarbeiten die riesige Wassermenge, Generatoren wandeln sie anschliessend in Strom um.
Nicht nur von innen, sondern auch von aussen müssen die Druckleitungen wieder auf Vordermann gebracht werden – in teilweise unwegsamem Gelände.
Das ist Süess und seinem Team schliesslich auch gelungen: Am 2. Dezember 2021 hat es das revidierte Kraftwerk wieder in die Hände seiner EWO Kollegen von der Energiewirtschaft übergeben. Was sieht er rückblickend als die grösste Herausforderung? «Jederzeit die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. » Hierfür erfolgen sämtliche sicherheitsrelevanten Arbeiten nach dem Vier-Augen-Prinzip, ausserdem sorgt die doppelte Sicherung von elektrischen, hydraulischen wie auch mechanischen Komponenten für den notwendigen Personenschutz. Auch arbeitssicherheitstechnische Massnahmen wie beispielsweise die Installation von Fixseilen gehören zu den umfassenden Vorkehrungen. Dank diesen sind schliesslich alle Arbeiten ohne Zwischenfälle über die Bühne gegangen. «Mein Team wie auch die involvierten externen Spezialisten haben tolle Arbeit geleistet», lobt Süess.
Wann die nächste grosse Kraftwerksrevision stattfindet, ist noch offen. «Üblicherweise steht eine solche nur alle zehn bis fünfzehn Jahre an», so Süess. Je nach Situation und anstehenden Revisionsarbeiten kann es aber auch schon früher so weit sein. «Meine neue Liste für die nächste Revision habe ich bereits wieder angelegt.» Auf Klettereinlagen wird er bis dahin jedenfalls nicht verzichten – für den passionierten Bergsteiger gibt es in den Alpen noch manchen Gipfel zu erklimmen.