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Die Frage nach der Kernkraft

Versorgungssicherheit
Rund 40 Prozent des EWO Strommix stammen aus Kernkraft. Wir erklären die Gründe dafür und warum dies kein Widerspruch zur Förderung erneuerbarer Energien ist.
9. September 2024
Text Simon Eberhard
09/09/2024 // 8 Minuten Lesezeit

Wer Wasser aus verschiedenen Flaschen in einen Topf füllt, kann im Nachhinein nicht mehr feststellen, wie viel Wasser aus welcher Flasche stammt. Ähnlich verhält es sich mit dem Strom. Jedoch verpflichtet das Energiegesetz jeden Schweizer Energieversorger, die Herkunft des Stroms zu veröffentlichen, mit dem er seine Kundinnen und Kunden beliefert. Dabei spricht man vom Herkunftsnachweis (HKN). Für 2023 weist das EWO über 60 Prozent Strom aus Wasserkraft und Sonnenenergie sowie knapp 40 Prozent Strom aus Kernkraft aus.

Herkunftsnachweis zeigt Jahressicht

Die Kernenergie hat damit einen wesentlichen Anteil am EWO Strommix. Gleichzeitig beziehen viele Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung «EWO NaturStrom» mit 100 Prozent erneuerbarem Strom aus Obwalden. Wie geht das zusammen? Thomas Baumgartner erklärt den scheinbaren Widerspruch: «Der Herkunftsnachweis zeigt einen Jahresdurchschnitt: Im Sommer haben wir Überschüsse an erneuerbarer Energie, im Winter hingegen decken wir die Nachfrage des Naturstroms nicht vollständig», so der Vorsitzende der EWO Geschäftsleitung. Laut Gesetz dürfen Energieversorger die überschüssigen Herkunftsnachweise aus Wasserkraft vom Sommer für den Winter nutzen.

«Ausserdem beziehen neben den Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung viele Grosskundinnen und Grosskunden den günstigsten Strom», so Thomas Baumgartner weiter. «Dies sind aktuell die Herkunftsnachweise der Kernenergie. Diese zwei unterschiedlichen Stromlieferungen ergeben zusammen den gesamten EWO Strommix.»

«Im Winter decken wir die Nachfrage des Naturstroms nicht vollständig.»
Thomas Baumgartner, Vorsitzender der EWO Geschäftsleitung

Diskussion hat Fahrt aufgenommen

Seit das Schweizer Stimmvolk die Energiestrategie 2050 gutgeheissen hat, ist der Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz verboten. Allerdings hat die Diskussion in den vergangenen Monaten wieder an Fahrt aufgenommen – gerade auch nach der Annahme des Stromgesetzes im vergangenen Juni. Beispielsweise braucht es nach Ansicht des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse neue Kernkraftwerke, um die Versorgungssicherheit der Schweiz zu gewährleisten. Dieser Aussage widersprechen jedoch Klimaverbände wie Swisscleantech oder AEE Suisse sowie verschiedene Umweltorganisationen. Im Sinne einer sachlichen und ausgewogenen Diskussion lässt das EWO in seiner Kundenzeitschrift bewusst unterschiedliche Positionen zu Wort kommen. Nach dem Interview mit dem Nationalrat Roger Nordmann in der letzten Ausgabe legt in dieser Ausgabe der Kernkraftbefürworter Martin Schlumpf seine Sichtweise dar (siehe Interview weiter unten).

Versorgung sicherstellen

Und was ist die Position des EWO? «Als kantonaler Versorger ist es nicht unsere Aufgabe, uns an dieser politischen Diskussion zu beteiligen», sagt dazu Thomas Baumgartner. «Unsere Aufgabe ist vielmehr, die Vorgaben aus der Eigentümerstrategie umzusetzen. Hierzu unterstützt das EWO die Umsetzung der Energiepolitik des Kantons und des Bundes und vermeidet Neuinvestitionen oder Beteiligungen an Kernkraftwerken. Oberste Priorität hat zudem die Versorgungssicherheit, damit alle Kundinnen und Kunden jederzeit mit Strom versorgt werden – heute und in Zukunft.»

Gegenwärtig ist die Kernenergie eine wichtige Ergänzung zur erneuerbaren Energie. Fakt ist aber auch: Irgendwann werden diese Kraftwerke vom Netz gehen und dürfen gemäss heutiger Gesetzgebung nicht ersetzt werden. Ganz unabhängig davon, wie man zur Kernkraft-Frage steht: Der Ausbau erneuerbarer Energie ist und bleibt von grosser Bedeutung. Daran arbeitet auch das EWO tatkräftig mit.

«Oberste Priorität hat die Versorgungssicherheit – heute und in Zukunft.»
Thomas Baumgartner

«Ideale Ergänzung zur Wasserkraft»

Martin Schlumpf ist pensionierter Musikprofessor und engagiert sich seit mehreren Jahren im Energiebereich – so unter anderem als Daten-Kolumnist beim «Nebelspalter» und als Mitglied des Expertenbeirats des Energie Clubs Schweiz. Er ist Autor des Buches «Atomkraft – Das Tabu» (Edition Königstuhl, 2023).

Nach der Annahme des Stromgesetzes am 9. Juni 2024 flammt auch die Diskussion um neue Kernkraftwerke (KKW) in der Schweiz wieder auf. Was ist Ihre Position?
Unter dem Aspekt Versorgungssicherheit sind Kernkraftwerke für unser Stromsystem neben der Wasserkraft die ideale Ergänzung: Sie bringen den dringend benötigten Bandstrom (Grundbedarf an Elektrizität), vor allem im Winter, wo auch die Wasserkraft ihre Lücken hat. Zudem gibt es keine Energiequelle, die eine bessere Arbeitsauslastung mit sich bringt: Diese ist bei den KKW neunmal besser als bei unseren Solaranlagen. Das hat zur Folge, dass die KKW viel weniger Platz und weniger Material benötigen als Solaranlagen.

Die Stromproduktion wird mit dem Zubau von erneuerbaren Energien unbeständiger. Kann die Produktion aus Kernenergie auf solche Veränderungen reagieren?
Diese Frage ist verkehrt gestellt: Wir müssten uns fragen, ob wir einen starken Zubau der Photovoltaik wollen. Denn Solarstrom bedeutet systematischen Produktionsausfall (Nacht), unzuverlässigen Ertrag (Wetter) und eine markante Winterschwäche (Jahreszeiten). Im Verbund mit der Winterschwäche der Wasserkraft führt das zu gefährlichen Mangelsituationen im Winter und zu schwer handhabbaren Überschüssen im Sommer. Davon abgesehen: Die Kernkraftwerke der neuesten Generation können flexibel eingesetzt werden.

Wie wirtschaftlich wäre der Bau neuer Kernkraftwerke, wenn es gesetzlich möglich wäre? Und wer würde in diese investieren?
Eine Kilowattstunde Strom aus einem KKW ist billiger als eine Kilowattstunde aus einer durchschnittlichen Solaranlage, wenn man alle Kosten für Reservekraftwerke, Tag-/ Nacht- und saisonale Speicherung sowie Netzanpassungen mitberücksichtigt. Diese machen den Solarstrom erst zu einem dem Atomstrom gleichwertigen Produkt. Zudem verdient ein neues Kernkraftwerk die gleiche massive Subventionierung wie alpine Solaranlagen. So würden sich Investoren finden.

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