Den Schraubenzieher nimmt das Team der Energiewirtschaft bei seiner Arbeit nicht zur Hand – dafür sind die Kollegen des Geschäftsfelds Produktion zuständig. Die Hilfsmittel der Energiewirtschafter sind stattdessen Computerprogramme mit vielen Zahlen, Kurven und Karten. «Wir erstellen täglich eine Absatzprognose über alle unsere Kundinnen und Kunden», erzählt Paul Krummenacher, Energiewirtschafter und Leiter Verkauf. Diese errechnen sie anhand von aktuellen Verbrauchszahlen und Erfahrungswerten früherer Tage. Den Strom kauft das Team entweder am Markt ein oder lässt ihn von den einheimischen Kraftwerken produzieren.
Der Grossteil der wertvollen Energie für den «EWO NaturStrom» stammt aus dem Lungerersee, dem Melchsee und dem Tannensee. Von dort fliesst das Wasser in die beiden Kraftwerke Hugschwendi und Unteraa. Deren Turbinen laufen jedoch nicht durchgehend, sondern nur dann, wenn der Bedarf am grössten ist und es sich lohnt. Wann dies der Fall ist, entscheiden die Energiewirtschafter und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einer davon ist der Strompreis am Spotmarkt. «Das verfügbare Wasser wird eingesetzt, wenn die Energie am knappsten ist», erklärt Paul Krummenacher. «Die Produktionsmenge, die den Bedarf übersteigt, wird zu diesen teuersten Stunden verkauft. Im Gegenzug wird dann zu günstigeren Stunden Energie zurückgekauft.» Somit kann mit der gleichen Wassermenge eine höhere Wertschöpfung im Kanton erzielt werden.
Paul Krummenacher, Energiewirtschafter und Leiter Verkauf
Eine wichtige Rolle bei der Stauseebewirtschaftung spielt zudem die Pegelhöhe. Am 15. Juni muss beispielsweise der Lungerersee laut Konzession eine bestimmte Pegelhöhe aufweisen. Üblicherweise werden die Seen in den Wintermonaten von November bis April abgesenkt, um Strom zu produzieren. Denn dann ist der Energiebedarf am höchsten, und gleichzeitig produzieren die Photovoltaikanlagen wenig Strom. In der Zeit der Schneeschmelze ab April füllen sich die Seen dann wieder. «Die Frage, wie lange wir den Seepegel tief halten können, um rechtzeitig Mitte Juni den geforderten Pegelstand zu erreichen, ist eine unserer grössten Herausforderungen», sagt Paul Krummenacher. Dabei gilt: Je mehr Spielraum besteht, desto flexibler kann das EWO auf schwierige Marktsituationen reagieren. Davon profitieren letztendlich auch die Kundinnen und Kunden dank günstigeren Tarifen.
Das Team Energiewirtschaft arbeitet bei der Seebewirtschaftung eng mit dem Team Instandhaltung aus dem Geschäftsfeld Produktion zusammen. «Wenn ein Kollege von der Produktion für Wartungsarbeiten beispielsweise für zwei Stunden eine Maschine ausser Betrieb nehmen muss, kommt er auf uns zu, und wir finden zusammen den idealen Zeitpunkt für die Wartung». Auch bei der Schneemessung besteht ein enger Austausch zwischen den beiden Teams. In den Wintermonaten misst alle zwei Wochen ein Mitarbeitender des Geschäftsfelds Produktion bei rund zehn vordefinierten Standorten die Höhe und das spezifische Gewicht des Schnees. Mithilfe dieser Daten ermittelt das Team das zu erwartende Schmelzwasser. Dies dient den Energiewirtschaftern als Anhaltspunkt, um zu beurteilen, wie stark sie den Seepegel absenken können. «Aber natürlich bleibt die Natur unberechenbar», sagt Paul Krummenacher. So wirken sich starke Regen- oder Trockenperioden auf die Stromproduktion der Obwaldner Stauseen aus.
Den produzierten Strom nutzt das EWO entweder selbst für seine Kundinnen und Kunden oder verkauft diesen bei Überschuss in den Sommermonaten am Markt. Es gibt zudem eine weitere wichtige Absatzmöglichkeit für den Strom aus den Obwaldner Stauseen: die sogenannte Regelenergie. Um ungeplante Schwankungen zwischen Produktion und Verbrauch auszugleichen, benötigt Swissgrid kurzfristig Strom oder muss diesen abgeben. Zu diesem Zweck veranstaltet die Übertragungsnetzbetreiberin täglich Auktionen, an denen die Stromproduzenten ihre Angebote einreichen können, um diesen Strom zur Verfügung zu stellen beziehungsweise abzunehmen. Daran beteiligt sich auch das EWO. «In Zeiten von tiefen Preisen ist der Regelenergiemarkt ein interessantes Geschäft, das uns hilft, zusätzliche Erträge zu erzielen», erklärt Paul Krummenacher. «Gleichzeitig leisten wir damit auch einen Beitrag zur Versorgungssicherheit in der Schweiz.» Auch deshalb behält das Team den aktuellen Seepegel immer im Blick.